Risikobeurteilung, Risikobewertung, Risikoanalyse – Ja was denn nun?

Im Maschinenbau gibt es jede Menge Richtlinien und Gesetze, an die sich der jeweilige Unternehmer zu halten hat. Im Jahr 2016 kam eine neue hinzu: die Richtlinie 2014/30/EU – auch bekannt als die neue EMV-Richtlinie.

Risikobeurteilung im Maschinenbau

Kurz und gut, in dieser Richtlinie ist jetzt festgelegt, dass jeder Hersteller im Maschinenbau dazu verpflichtet ist, eine Risikoanalyse und – bewertung seiner Produkte durchzuführen. „Hä?“ wird der ein oder andere Leser jetzt vielleicht denken, „das gibt es doch schon in der Maschinenbaurichtlinie!“  
Doch das ist leider die Quadratur des Kreises, denn Risikobeurteilung ist etwas anderes als eine Risikobewertung oder Risikoanalyse.  
Die Beurteilung ist übrigens zwingend erforderlich, wenn die Maschine eine CE-Kennzeichnung bekommen soll.  

Innen vs. Außen 

Doch wo liegen jetzt eigentlich die Unterschiede? Das ist ganz einfach erklärt: Die Risikobeurteilung der Maschinenrichtlinie bezieht sich auf die Gefahren, die von den elektrischen, thermischen oder mechanischen  Teilen einer Maschine ausgehen. Bei der EMV-Richtlinie werden lediglich zwei Gefahrenpunkte bewertet: die Störfestigkeit (auf das Produkt einwirkend) und Störaussendung (vom Produkt ausgehend).  
Die Maschinenrichtlinie bewertet die Gefahren, die von einer Maschine ausgehen unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten. Bewertet werden die Gefahren in der Maschinenrichtlinie übrigens nach elektrisch, thermisch, mechanisch usw.  
Leider ist es so, dass die mechanischen Gefahren, die von einer Maschine ausgehen, häufig um einiges gefährlicher sind als die elektrischen. Oft genug kommt es zu Handverletzungen durch eine Quetschung, oder weil jemand einen Knopf gedrückt hat, den er zu diesem Zeitpunkt nicht hätte drücken sollen. Beim Strom sollte man besonders vorsichtig sein, da man ihn z. B. nicht sehen kann. Hier hilft nur sehr umsichtiges Handeln und größte Vorsicht. Thermische Gefahren, wie z. B. heiße Oberflächen, sind auch nicht gleich sichtbar. Ein glühendes Metallteil ist noch gut zu sehen. Was aber, wenn es abgekühlt ist, aber immer noch ca. 200 °C warm ist? 

Wie wird also die Risikobeurteilung erstellt?

Die rechtlichen Grundlagen der Risikobeurteilung und was unbedingt hinein gehört, lassen sich grob in zwei Arbeitsschritte aufteilen.

Der erste Schritt enthält folgende Punkte:  

  • Welche Gefährdungen gehen von der Maschine aus?   
  • Das führt dann auch gleich zum nächsten Punkt: Bis zu welchen Grenzen (hinsichtlich Handhabung, Funktion und Betrieb) kann die Maschine benutzt werden? Das bezieht sich nicht nur auf die „normale“ Verwendung im Tagesgeschäft, sondern es gilt auch, jede Fehlanwendung zu berücksichtigen. Wobei es immer wieder Nutzer geben wird, die sozusagen neue Arten von Fehlanwendungen finden werden. 
  • Welche Risiken gehen von meiner Maschine aus? Welche Verletzungen kann sie verursachen und welche gesundheitlichen Schäden können diese nach sich ziehen (immer unter Berücksichtigung des schlimmsten anzunehmenden Falls).  

Das alles fließt zusammen in die Risikoeinschätzung und wird nach der Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet. An dieser Stelle wollen wir noch einmal auf das Schadensausmaß hinweisen. Denn es sollten auch immer die kleinsten Gefahren berücksichtigt werden. Auch diese können unter gewissen Umständen eine große Auswirkung haben. 

Im zweiten Schritt erfolgt dann die Risikobewertung:

  • Hier müssen die abgeschätzten Risiken zunächst einmal vom Standpunkt des Nutzers bewertet werden: Ist eine Risikominderung erforderlich? An welcher Stelle ist sie erforderlich?  
  • Außerdem sollten die Gefährdungen, die von der Maschine ausgehen, natürlich – soweit als möglich – technisch behoben werden. Entweder durch komplette Beseitigung oder durch das Anwenden von Schutzmaßnahmen. 

Die Risikominderung aufgrund der Maschinenrichtlinie geht immer von drei Arten aus: 

  1. Zuerst kommt die konstruktive Lösung. 
  2. Es folgt die technische Zusatzlösung.
  3. An letzter Stelle steht die informative Lösung.

Eine Risikobeurteilung darf natürlich nicht erst dann erfolgen, wenn die Maschine bereits fix und fertig konstruiert und womöglich schon gebaut ist.  
Übrigens: Wurde eine Risikominderung an der Maschine durchgeführt (diese ist immer dann erforderlich, wenn das vorhandene Risiko größer als das Grenzrisiko ist), muss die Risikobeurteilung erneut durchgeführt werden. 

Das hört sich zunächst einmal nach jeder Menge Arbeit an. Offen zugegeben, das ist es manchmal auch.  
Aber eine lückenlose Risikobeurteilung hat für einen Hersteller natürlich auch immense Vorteile. Zum einen werden die Haftungsrisiken minimiert. Zum anderen ist eine einwandfreie Risikobeurteilung durchaus auch ein Qualitätsmerkmal, mit dem auch geworben werden kann.  

Nebenbei ergeben sich aber auch noch weitere Vorteile:  

  • Personenschäden werden minimiert (ganz ausschließen wird man sie nie können) 
  • Eventuellen Schadenersatzansprüchen (sowohl durch den Geschädigten als auch durch den Betreiber) wird entgegengewirkt 

Sie sehen: die Vorteile der Beurteilung überwiegen den Arbeitsaufwand bei weitem! 

Welche Normen kommen bei der Risikobeurteilung zum Einsatz?

  • Din EN ISO 12100:2013-08 – die Sicherheitsgrundnorm zur Umsetzung des Anhang I Maschinenrichtlinie 
  • DIN EN ISO 13849-1 – die Sicherheitsfachgrundnorm zu sicheren Steuerungen 
  • DIN EN ISO 13850 – die Sicherheitsfachgrundnorm zur Gestaltung der Not-Halt-Funktion
  • DIN EN ISO 13854:2020-01 – die Sicherheitsfachgrundnorm zur Vermeidung des Quetschens von Körperteilen 

Außerdem kommen noch verschiedene maschinenspezifische Normen zum Einsatz, die sogenannten Typ-C-Normen, (Maschinensicherheitsnormen) Diese Normen stellen detaillierte Sicherheitsanforderungen an spezielle Maschinen bzw. Maschinengruppen.

Bin ich dazu verpflichtet, meine Risikobeurteilung dem Kunden auszuhändigen? 

Prinzipiell gibt es keine Vorschrift, die besagt, dass Sie Ihre Risikobeurteilung an Ihren Kunden aushändigen müssen.  Allerdings sind Sie beispielsweise als Maschinenbauer dazu verpflichtet Ihren Kunden darüber zu unterrichten, welche Restrisiken bei der betreffenden Maschine ermittelt wurden. Wird eine unvollständige Maschine angeliefert, erfolgen diese Informationen in der Einbauanleitung. Bei einer vollständigen Maschine findet der Kunde die Restrisiken in der Bedienungsanleitung. 
Der Hersteller belegt die fachgerechte Durchführung der Risikobeurteilung mit der Konformitätserklärung und dem CE-Schild an der Maschine. Beides muss verpflichtend mit der Betriebsanleitung ausgeliefert werden. 

Übrigens: Passiert ein Unfall mit der Maschine, kann es durchaus sein, dass die Berufsgenossenschaft, die Staatsanwaltschaft oder eine andere entsprechende Stelle die Risikobeurteilung von Ihnen fordert.  

Fehleinschätzung bei der Risikobeurteilung einer Maschine

Die Risikobeurteilung gilt im Übrigen verbindlich für alle Hersteller. Aussagen wie: „Von unseren Maschinen geht keine besondere Gefahr aus“ sind extrem gefährlich und können im schlimmsten Fall zur Schließung des Betriebes führen.  

Weitere Fehleinschätzungen  

  • Die Risikobeurteilung machen wir dann, wenn die Maschine bereits fertig gebaut ist. 
    • Korrekt ist: Bereits während der Planung und der Konstruktion muss die Risikobeurteilung 
        vorgenommen werden 
  •  Wir haben auf alle Gefährdungen, die uns aufgefallen sind, in der Betriebsanleitung hingewiesen. Jetzt liegt es in der Hand des Betreibers sein Personal so zu unterweisen, dass nichts passiert. 
    • Korrekt ist: Eine Rechtssicherheit bietet nur die Risikobeurteilung. 

Ist die Risikobeurteilung Aufgabe des Technischen Redakteurs? 

Diese Frage lässt sich klipp und klar mit „Nein“ beantworten – auch wenn das so mancher Konstrukteur gar nicht gerne hören will.  

Denn eine Risikobeurteilung ist sehr viel mehr als ein Dokument zu erstellen und erfordert komplexes Fachwissen, über das der technische Redakteur gar nicht verfügen kann, sondern eben nur der Konstrukteur der Maschine. Ebenso ist die Risikobeurteilung nicht Aufgabe des CE-Beauftragten.
In der Praxis, und gerade in größeren Unternehmen, entwickelt es sich meistens so, dass der technische Redakteur für die Risikobeurteilung zuständig wird. Geschieht dies in Absprache mit dem „betroffenen“ Mitarbeiter, ist grundsätzlich nichts Verwerfliches dabei, allerdings muss der Technische Redakteur – gleich dem Konstrukteur – fachlich tiefgreifend ausgebildet werden, um die rechtlichen Anforderungen an technische Dokumentation zu kennen und somit bearbeiten zu können. 
Wenn Sie Unterstützung bei der Risikobeurteilung benötigen, sprechen Sie uns gerne an. 

Im nächsten Blogartikel beschäftigen wir uns mit dem Thema Lokalisierung/Übersetzung.

Lokalisierung und Übersetzung – der kleine aber feine Unterschied